NEU:
Eine, wie uns scheinen will, nicht ganz faire Rezension des Buches veröffentlichte, wie uns erst jetzt bekannt wurde (die Redaktionen scheinen immer öfter keine Belegexemplare ihrer Besprechungen zu versenden), Wolfram Adolph in der Fachzeitschrift "Organ", 2 / 2017. Ein Gutteil der Besprechung besteht aus freien Paraphrasen der Texte im Verlagsprospekt, wobei auch schon einmal unfreiwillig komische Stilblüten erwachsen, wenn etwa aus "Wie ein Monolith ragt Karl Richter..." ein "monolithischer Zyklop" wird. Ganz so dick muss man ja nun auch wieder nicht auftragen... Es entsteht aber, was viel schwerer wiegt, bei der Lektüre der Rezension der Eindruck, der Rezensent habe das Buch, wenn überhaupt, nur recht oberflächlich zur Kenntnis genommen. Wie sonst könnten Anwürfe etwa der Art erhoben werden, das Buch sei eine "Hagiographie" Karl Richters, "von einem Fan für Fans" geschrieben? Z.B. werden in der "Wirkungsgeschichte" Richters, die das Buch ausbreitet, zu jederzeit, soweit vorhanden, auch kritische oder ablehnende Stimmen zitiert. Was das monierte Thema "historische Aufführungspraxis" angeht, nimmt die Argumentation der Zeitgenossen etwa in der Berichterstattung zu späten Deutschland-Tourneen und späten Schallplatten-Aufnahmen Richters mit seinem MBO einen breiten Raum ein. An keiner Stelle des Buches verleugnet der Autor, dass der Künstler Karl Richter keineswegs nur "Fans" hatte, die mit diesem Buch "bedient" werden sollen, sondern er weist immer wieder darauf hin, dass Richter Publikum und Fachwelt immer wieder polarisierte! Es ist zu begrüßen, dass Adolphs Kollege Wolf Dieter Peter in seiner Besprechung in der im gleichen Verlagshaus erscheinenden Zeitschrift "Das Orchester" einige dieser Fehlurteile zurechtrückte! - Aber lesen Sie selbst:
Verlag/Label: edition baptisma, Heilbronn 2016, 806 Seiten, 44,80 Euro
Besprechung in der Rubrik: Bücher, erschienen in: Organ – Journal für die Orgel 02/2017, Seite 61
Quelle: http://www.organ-journal.com/de_DE/journal/issues/showarticle,42764.html
"Etwas ratlos begegnet der unvoreingenommene Musikfreund dieser mit 806 Druckseiten zweifelsohne als „monumental“ zu klassifizierenden Veröffentlichung über Leben und Wirken Karl Richters (1926–81), im Herbst des vergangenen Jahres zu dessen 90. Geburtstag im Selbstverlag des Autors erschienen. Ebenso monumental ist freilich der Gegenstand selbst, dem sich der freie Musikpublizist Roland Wörner hier zu nähern versucht.
Wie ein monolithischer Zyklop ragt der Dirigent, Chorleiter, Organist und Cembalist Karl Richter (1926–81) empor aus dem bürgerlich-evangelischen Kirchenmusikbetrieb der Nachkriegsjahrzehnte und der Bach-Interpretation nach 1945. Als junger Mann beschloss der offensichtlich hochgradig musikbegabte Pfarrerssohn aus Plauen, inspiriert von der lutherischen Kantorentradition seiner mitteldeutschen Heimat, dem prägenden frühen Klangeindruck der sächsischen Silbermann-Orgeln und der Musik
J. S. Bachs, sein Leben fortan in den Dienst der Kirchenmusik zu stellen. Ab 1937 hatte Richter das Kreuzgymnasium in Dresden besucht und war dort Mitglied des Kreuzchors. 1940 nahm ihn Karl Straube nach seinem Ruhestand als letzten Schüler an. Nach dem Krieg studierte Richter am Konservatorium Leipzig sowie am renommierten Kirchenmusikalischen Institut bei Karl Straube und Günther Ramin, 1949 wurde er Thomasorganist.
In seinem allzu kurzen Leben, das nur 54 Jahre währte, setzte Richter seinen kirchenmusikalischen Berufswunsch vor allem an der Leipziger Thomaskirche und dann in München an der Markuskirche um. Dazu kamen Konzertauftritte weltweit, Fernseh- und Radioaufnahmen, Schallplatteneinspielungen für Teldec, Decca und Deutsche Grammophon sowie als Hochschullehrer in München. Es gelang ihm dabei, auch internationale Aufmerksamkeit auf seine Person und sein künstlerisches Tun zu lenken. So mag es nicht verwundern, dass sich schon zu Richters Lebzeiten eine stattliche Fangemeinde um den Chef des renommierten Münchener Bachchors und -orchesters bildete, die bis in unsere Tage weiter existiert und in allerjüngster Zeit sogar erneuten Zuwachs verzeichnet.
Viel wurde über das Faszinosum Karl Richter bereits nachgedacht und (öffentlich) spekuliert. Die hier vorgelegte Neuveröffentlichung macht es sich zur Aufgabe, soweit als möglich alle wesentlichen, an unterschiedlichsten Orten verstreut publizierten Zeugnisse über Richter für den interessierten Leser an einem Ort zu kollektieren und (sparsam) zu kommentieren. Man findet Zeitungsporträts und Interviews, Konzert- bzw. Schallplattenkritiken aus deutschen und internationalen Medien, dazu alle bekannten (auffindbaren) Konzerttermine und die mitwirkenden Künstler. Der Autor ist dabei bestrebt, die Entstehung einer damals neuen Bach-Begeisterung im deutschsprachigen Raum nachzuzeichnen, die in den sechziger und siebziger Jahren durch das musikalische Sonderphänomen Karl Richter überhaupt entscheidend mit evoziert wurde, sowie deren unmittelbare übernationale Resonanz.
Dass der Autor dabei selbst hochgradig parteiisch agiert, was etwa den Themenkomplex „Paradigmenwechsel der Interpretation ,Alter Musik‘ im Kontext der ,historisch informierten Aufführungspraxis‘“ angeht, verschweigt er dabei keineswegs. Wo Wörner gewisse Aspekte der von ihm als „Uraufführungsästhetik“ stigmatisierten sogenannten Historischen Aufführungspraxis streift, die sich ihrerseits „in die Idealwelt einer letztlich ungreifbaren Vergangenheit flüchtet und sich von einer Vergegenwärtigung des ‚alten‘ Werks für die je aktuelle Gegenwart und ihren zeitgenössischen Hörer verabschiedet hat“ (Wörner), wird deutlich, wie sehr der Autor hier letztlich als Hagiograf Richters und weniger als dessen Biograf im seriösen Sinn in Erscheinung tritt.
Neben der minutiösen biografischen Nachzeichnung der Lebens- bzw. Schaffensetappen des Künstlers wird der Band ergänzt durch recht persönlich bis eigenwillig gefärbte Essays Wörners über Richter als Musiker und Mensch („Prophet“) sowie aufführungspraktische Grundsatzerwägungen. Eine Vielzahl an Fotos, durchweg in schwarz-weiß, vermitteln durchaus etwas von jener heute bereits „historisch“ anmutenden „Richter-Ära“. Über das Personenverzeichnis, eine Diskografie und ein chronologisches Verzeichnis sämtlicher von Richter aufgeführter Werke ist das Buch quasi auch als lexikalisches Nachschlagewerk gut zu verwenden (ein Stichwortverzeichnis/Sachindex hätte dem monumentalen Band vor diesem Aspekt ebenfalls gut getan).
Als ein kritisches Fazit des Rezensenten bleibt also festzuhalten: Wir haben es hier mit einer enormen und im Detail gewiss nützlichen Fleißarbeit zu tun, die aufs Ganze gesehen jedoch den Charakter einer allzu schwärmerischen und daher in der Beurteilung der Jahrhundertgestalt Karl Richters leider oberflächlich bleibenden Eloge auf diesen Ausnahmekünstler besitzt – spürbar verfasst von einem (unverhohlenen) Fan für andere Fans … und leider ohne erkennbares Bemühen um Objektivität, in Teilen gar sachlich irreführend. Eine in die Tiefe gehende sachangemessene Auseinandersetzung mit Fragen der Historischen Aufführungspraxis findet in diesem Buch nicht statt, ebenso wenig mit dem – gerade mit Blick auf Karl Richter – noch immer schwelenden Interpretenstreit um die Rolle historischer Aufführungspraxis heute; viele Musikkenner attestieren dem Solisten und Dirigenten Richter in dieser Auseinandersetzung eine weniger schmeichelhafte Blockadehaltung. Was bleibt also: Gott sei dank doch etwas mehr als nur ein kultiges „Stundenbuch“ für die Richter-Gemeinde! Bleibt zuletzt zu hoffen, dass einmal – eventuell zum 100. Geburtstag? – eine umfassende kritische Würdigung Karl Richters auf den Markt kommt, welche dieser Bezeichnung vollumfänglich gerecht wird – das „Phänomen Richter“ hätte es allemal verdient.
Wolfram Adolph
Die Münchner "Abendzeitung" veröffentlichte am 22. April 2017 ebenfalls die Rezension von Wolf-Dieter Peter:
Buchbesprechung in der Fachzeitschrift "Das Orchester", Ausgabe April 2017:
Wörner, Roland
Musikalischer Brückenbauer ins Überirdische. Karl Richter. Eine Wirkungsgeschichte
Verlag/Label: Edition Baptisma, Heilbronn
Rubrik: Bücher
erschienen in: das Orchester 04/2017, Seite 60
Als Leser dieses Buchs bereut man, so oft nicht dabei gewesen zu sein: bei Karl Richters Bach-Aufführungen. Die Befürchtung, dass Autor Roland Wörner aufgrund seiner lebenslangen Bach- und Barock-Begeisterung und speziell seiner über zwei Jahrzehnte langen Beschäftigung mit Karl Richter in hingerissenem Tunnelblick rund 800 Seiten Hagiografie veröffentlicht, verflüchtigt sich schnell. Der mit 630 Seiten gewichtigste Teil des Bandes umreißt nur in den zwei einleitenden Kapiteln Richters Herkunft, Ausbildung und Anfänge in Wörners Darstellung.
Mit Richters erstem großen Konzert in der Münchner Markuskirche Ende November 1951 tritt der Autor zurück: Nach genauen Angaben zu Ort, Zeit, Ausführenden, Programm, eventuell Aufnahmeort und Produzenten folgen drucktechnisch abgesetzte Kritiken mit präzisen Quellenangaben im Anhang, meist nur umrahmt von wenigen erläuternden Sätzen. Lediglich bei größeren Veränderungen greift Wörner wieder zur Darstellung, etwa der Umwandlung des Münchner Schütz- in Bach-Chor 1954, der Entstehung und Entwicklung der Ansbacher Bachwochen von 1954 an bis zum strittigen Ende von Richters Tätigkeit dort, den – oft historisch geradezu amüsanten – Auslandsreisen ab 1956. So sind auch die erstaunliche Entwicklung der Wagner- und Strauss-Stadt München zu einem Zentrum der Bach-Interpretation und Richters Einstufung als „Karl der Große“ in den 1960er Jahren keine Lobhudelei des Biografen, sondern durchweg aus anderen Quellen belegt.
Richters breite Aufnahmetätigkeit für die Deutsche Grammophon, gipfelnd in den großen Einspielungen für die Archiv Produktion, Richters Repertoireerweiterung zu geistlichen Werken von Händel über Beethoven und Mendelssohn zu Dvořák, sein Münchner Staatsopernauftritt mit Glucks Iphigenie auf Tauris 1979 – all das wird als Kometenflug eines publicity-scheuen, ernsthaften, großen Künstlers minutiös verfolgbar – und löst aufgrund der begeisterten Kritiken eben das obige Bedauern aus. Die körperliche Überforderung, gekoppelt an eine familiäre Veranlagung zu Herzproblemen und die Augenerkrankung mit der Gefahr der Erblindung führten nach zwei Infarkten zu Richters frühem Herztod am 15. Februar 1981, 54-jährig.
Der Anhang enthält nicht nur die offizielle Diskografie, sondern führt auch alle von Richter je gespielten Werke auf und belegt durch Unterstreichung, wovon ein Tondokument vorliegt. In dieser Hinsicht eine beispielhaft genaue Biografie.
Als einzig diskutable „Grenze“ von Wörners Arbeit wird seine eindeutige Positionierung gegen die historisierende und Originalklang-Bewegung deutlich: pro Richter, kontra „Gardiner bis Harnoncourt“. Doch dieser Streit ist entschieden – und Wörner zeigt Karl Richter als grandios leuchtenden „Fels in der Brandung“.
Wolf-Dieter Peter
FONO FORUM, das Fachmagazin für Klassik, Jazz und HIFI, stellt in seiner neuen Ausgabe März 2017, S. 10, das Buch "Karl Richter - Musikalischer Brückenbauer" von Roland Wörner unter der Überschrift "Richter-Renaissance" vor!
Ein erstes Medienecho zur Buch-Veröffentlichung, nach einem ausführlichen Pressegespräch vom Redakteur der "Heilbronner Stimme", Uwe Grosser, verfasst: